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27.10.2011 00:00

„Seien Sie offen! Seien Sie Menschen!“

Margot Friedlander wird dieses Jahr 90 Jahre alt und kann somit über fast ein Jahrhundert Geschichte Auskunft geben und eine Menge berichten. Von ihrem Leben in der Weimarer Republik, dem Herannahen des Nationalsozialismus' und der Übertragung der Macht an Hitler sowie der staatlich organisierten Hatz auf die jüdischen Bevölkerung. Gerade diese hat Frau Friedlander hautnah erleben, erleiden müssen, denn sie selbst ist jüdischen Glaubens und tauchte zunächst 1943 vor den Schergen der Gestapo unter, die kurz zuvor ihre Mutter und ihren Bruder verhaftet hatten.


Die letzte Nachricht der Mutter, übermittelt durch eine Nachbarin, war auch deren Hinterlassenschaft an ihre Tochter. Sie trug ihr auf: „Versuche, dein Leben zu machen!“ Dieser Satz wurde ihr Auftrag und Bürde zugleich, denn sie wollte den Wunsch ihrer Mutter, dass sie überleben solle, erfüllen, doch es gab auch immer die Frage „Warum durfte ich überleben?“.


Dieses Überleben von Margot Friedlander geriet im Jahre 1944 doch noch in Gefahr, denn die Gestapo griff sie auf und sie wurde in das KZ Theresienstadt deportiert. Sie überlebte und lernte dort ihren Mann kennen. Beide emigrierten in die USA und hatten vermeintlich mit Deutschland abgeschlossen. Herr Friedlander starb und Margot Friedlander kehrte gegen den Willen des verstorbenen Ehemanns nach Deutschland, nach Berlin, ihrer Geburtsstadt zurück. Hierhin zurückgekommen versteht sie sich als eine der letzten Zeitzeugen des Unfassbaren, welches das III. Reich heraufbeschworen hatte und dem viele deutsche Bürger widerstandslos gefolgt waren.


Sie berichtet bis zu dreimal wöchentlich in Schulen von ihren Erlebnissen und am 5. Oktober hatten Schülerinnen und Schüler der Kaufmannsschule die Möglichkeit, ihren eindrucksvollen, aber auch erschreckenden Bericht zu hören.


Frau Friedlander las aus ihrem Buch Versuche, dein Leben zu machen, welches in ihrem Leben das prägende Motto war. Die Bedeutung dieses Satzes wurde unseren Schülern sicherlich durch die eindrucksvolle Lesung deutlich. Dies zeigte sich auch an dem regen Gespräch, das Frau Friedlander mit den Schülerinnen und Schülern nach ihrer Lesung führte. Die Schüler zeigten Interesse und Einfühlungsvermögen für das Leben von Frau Friedlander und dies ist sicherlich ein gutes Zeichen dafür, dass sie versuchen, ihr Leben zu machen und verantwortungsvoll mit der Erinnerung, aber auch mit der Gegenwart umzugehen. Oder wie Frau Friedlander es zusammenfasste: „Seien Sie offen! Seien Sie Menschen!“


Der Besuch von Frau Friedlander stellt den Auftakt zu verschiedenen Veranstaltungen zum 125. Gründungstag der Kaufmannsschule Krefeld dar. Wir wollen in diesen Veranstaltungen unter anderem den 125 Jahren nachspüren, die die Geschicke unserer Schule geprägt haben.

Margot Friedlander und die interessierten Schülerinnen und Schüler der Kaufmannsschule